(Zur Rezension des Inhalts von Band 1, 2 und 3 geht es über die Links.)
Floyd wer? Ein zumindest für deutsche Ohren unbekannter Name, und dann verlangt Egmont gleich mal ordentlich Zaster für die Gesamtausgabe? Nun, tatsächlich ist Gottfredson eine echte Legende des Disney-Comics, auch wenn sein Name nicht so vielen geläufig sein dürfte, und so ist auch die Floyd Gottfredson Library eine höchst interessante Veröffentlichung.
Carl Barks kennt man, weil er Donald Ducks Charakter in den Comics entscheidend geprägt hat und auch für große Teile des Universums um ihn (Onkel Dagobert, Gustav Gans, Panzerknacker, Gundel Gaukeley, Entenhausen als Ganzes) verantwortlich war. Floyd Gottfredsons Funktion ist eine ganz ähnliche, nur hat er die Umgebung rund um Micky Maus gebaut, und das über ein Jahrzehnt bevor Barks seinen ersten Entencomic zeichnen sollte!
Der US-amerikanische Verlag Fantagraphics, dem wir auch schon die Don Rosa Library zu verdanken haben (ein Thema für einen anderen Blogeintrag), hat die Mammutaufgabe übernommen, große Teile von Gottfredsons Disney-Werk möglichst originalgetreu nachzudrucken – also im originalen Stripformat (nicht etwa auf LTB-Format ummontiert) und in schwarzweiß. Zwar gab es in Italien eine sehr schön kolorierte Gesamtausgabe, aber die Originalstrips hatten eben die grauen Rasterflächen, was nur in schwarzweiß wirklich zur Geltung kommt.
Die italienische Ausgabe ist im Vergleich zu der Fantagraphics-Zusammenstellung übrigens wirklich komplett, d.h. Gottfredsons Werk wird bis zu seiner Pensionierung abgedruckt. Fantagraphics hat 1955 einen Schnitt gemacht, weil King Features ab diesem Zeitpunkt keine Fortsetzungsgeschichten mehr wollte. Das ist aber kein allzu großer Verlust: Die Gagstrips, die Gottfredson noch bis 1975 (!!) zeichnen sollte, sind inhaltlich nicht sonderlich spannend. Eine Handvoll (genauer: 16 Stück) wurde immerhin kürzlich von ECC als Bonus im durchaus schönen Schneewittchen-Band veröffentlicht, ohne dass ein inhaltlicher Zusammenhang zum Thema bestünde. Verglichen mit früheren, heute nur noch gebraucht erhältlichen Versuchen (“Ich, Micky” oder “Die großen Klassiker”) ist die FGL auf jeden Fall ‘kompletter’.
Die Zeitungsstrips sollte man aber definitiv nicht als rein historisches Artefakt betrachten. Floyd Gottfredson war, wie sich hier gut zeigt, ein sehr fähiger Geschichtenerzähler. Der Einfluss direkt auf Barks ist an vielen Stellen spürbar. Die Handlungen sind weitgehend stimmig, gerne lustig, oft spannend, manchmal tiefgründig. Auch wenn es abgedroschen klingt: das Gefühl, Gottfredson zu lesen, ist m.E. im Disney-Universum nur mit dem Gefühl, Barks zu lesen, vergleichbar.
Wenn die deutsche Library irgendwann mal ausverkauft sein sollte, kann ECC ja auch noch den Band “The Greatest Adventures” von Fantagraphics übernehmen, in dem es ein Best-Of der Gottfredson-Comics im handlicheren Buchformat und in Farbe gibt. Enthalten sind “Micky Maus im Tal des Todes”, “Ein verkorkstes Picknick” (beide Band 1), “Auf der Wolkeninsel” (Band 4), “Die geheimnisvollen Schmuckdiebstähle” (Band 6), “Goofys Rakete”, “Micky Maus und der dichtende Spion” (beide Band 9) sowie “Mickey’s Dangerous Double” (Band 11).
Die Comics im ersten Schuber wurden fast allesamt von Gerd Syllwasschy neu übersetzt, was auch durchaus nötig war. Immerhin waren viele der bisherigen Übersetzungen inkonsistent und passten auch oft nicht zu späteren Geschichten im LTB oder MM-M, die sich auf Gottfredsons Werk bezogen. Auch inhaltliche Probleme wurden dabei behoben, so darf Captain Doberman auf Deutsch jetzt Hauptmann Dobermann heißen, nicht mehr Käpt’n (er ist ja für die Luftwaffe tätig und nicht auf See unterwegs). Über weite Strecken bin ich mit der Übersetzung sehr zufrieden: Die Dialoge sind schön bissig und (wie man an den wenigen Stellen erkennen kann, bei denen zur Illustration von Artikeln englische Originalpanels gezeigt werden) recht originalgetreu. Tatsächlich ist mir die Übersetzung an einer Stelle sogar zu originalgetreu: Obwohl sich im Comicforum eher mehr Fans dagegen ausgesprochen hatten, heißt Goofy hier so wie im Original noch “Dippy”. Für mein Verständnis hätte es das nicht gebraucht. Goofy ist zwar noch nicht ganz ausgereift und kommt teils noch deutlich chaotischer daher als später, aber in seinen Grundzügen schon deutlich erkennbar. Vor allem gibt es ja Fortsetzungen (“Ihr erster Fall” in LTB 408, “Wie in alten Zeiten” in LTB Spezial 16), die sich explizit auf diese Gottfredson-Geschichten berufen, und bei denen braucht es für ein Funktionieren der Kontinuität schon eine eindeutige Gleichsetzung “Dippy Dawg = Goofy”.
An einigen anderen Stellen gibt es meinem Gefühl nach auch Inkonsistenzen: Die Detektive Barke und Howell hießen beim Abdruck in der Goofy-Anthologie (bei der Dippy, alleine schon aufgrund des Konzepts, zu Goofy übersetzt wurde) noch “Horch und Schleich”, hier heißen sie wieder anders (Bell und Stell).
Der alte Zeitungschef aus “Presse unter Druck” heißt in “Der Aushilfsverleger” (LTB 128, Spezial 85) “Herr Blatt” (nicht “Herr Fussel”), aber da diese Geschichte sowieso eher eine Art harmloseres Remake als eine echte Fortsetzung ist, muss man darauf jetzt nicht zu sehr herumreiten. Trotzdem ist es bezeichnend, dass der (auf meine Veranlassung hin) im Inducks verzeichnete Name von Bürgermeister Puck (aus “Eine verrückte Verbrechenswelle” bzw. “Ihr letzter Fall”) verwendet wurde, einige andere bereits existierende deutsche Namen aber nicht übernommen wurden.
Noch mal zurück zum Preis. Vor Erhalt der Box hatte ich meine Zweifel daran, ob die Übersetzerleistung wirklich soooo einen großen Preisunterschied ausmachen kann. Allerdings hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht bedacht, wie viel Arbeit da tatsächlich drinsteckt: Es geht ja nicht nur um die Sprechblasentexte, sondern auch um eine Unmenge an Schildern, Zeitungen, Aufschriften und Soundwords. Das alles zu retuschieren und dann auf eine ansehnliche Weise einzufügen, muss wirklich ein anspruchsvoller Job sein. Umso mehr freut es den Leser natürlich, dass das hier durchweg hervorragend geraten ist.
Kritischer sehe ich dagegen das Lettering. Die Tradition, Sprechblasen nur mit Großbuchstaben zu füllen, gibt es bei uns zwar schon länger (siehe z.B. Asterix, auch wenn es bei Disney-Comics bislang sehr unüblich ist; eine Ausnahme ist neben der Don Rosa Library das LTB Premium Plus 8), auf Deutsch funktioniert es aber in meinen Augen schlechter als auf Englisch oder Italienisch, weil die Großschreibung im Deutschen eine größere Rolle spielt. An der Schriftart kann ich wenig aussetzen, jedoch kann der nächste Kritikpunkt gerade für die ältere Leserschaft ein echtes Hindernis darstellen. Deutsche Sätze sind generell länger als englische, und die ersten Strips waren ursprünglich größer als nachgedruckt (das Format änderte sich während Gottfredsons Zeit). Das zusammen ergibt schon viel Kleingedrucktes, aber (ähnlich wie auch bei der Don Rosa Library) kommt dazu noch, dass der zur Verfügung stehende Platz noch nicht mal effektiv ausgenutzt wird. Ein Vergleich mit den wenigen Originalpanels unterstreicht das noch, denn die für das ursprüngliche Handlettering zuständigen Personen hatten kein Problem damit, deutlich weiter an den Rand der Sprechblasen zu gehen.
Auch wenn sie ebenfalls Teil der Originalausgabe sind, verdienen die Zusatztexte (von einer ganzen Reihe Autoren, u.a. Blogger Joe Torvicia) eine Erwähnung. Hier geht es um die zeitgeschichtliche Einordnung mit allem, was dazugehört: Über die beteiligten Künstler (nicht nur Gottfredson) erfährt man vieles zur Biografie (in manchen Fällen ist das gar nicht so viel), in den Comics vorhandene Dynamiken werden mit Blick auf die damalige politische Lage in den USA erklärt (z.B. warum Rechtsanwälte ein gern genommenes Feindbild waren) und auch die rassistischen und sonstigen Stereotypen werden nicht verschwiegen, sondern schonungslos aufgezählt und kommentiert. Das ist sicher besser als der Versuch, die Comics durch nachträgliche Eingriffe irgendwie leichter verdaulich zu machen, was einer Verfälschung gleichkäme – wobei das vermutlich auch der Grund ist, wieso man Gottfredsons Comics nicht in Kioskprodukten wie LTB oder Micky Maus Comics abdruckt. Eine Geschichte wie “Lösegeld für Minnie” wäre ohne einordnenden Begleittext schlicht nicht mehr druckbar.
Einen kleinen Kritikpunkt habe ich allerdings, was die Begleitartikel angeht: In einigen Fällen wird zu viel gespoilert. Wen das stört, der sollte lieber erst mal die Comics lesen und dann die dazugehörigen Artikel. Bei der Don Rosa Library hat ja Jano Rohleder dafür gesorgt, dass dieser Aspekt in der deutschen Ausgabe besser gehandhabt wird. (Erst die Comics und danach die Begleitartikel.)
Fehler gibt es auch ein paar, aber gemessen an anderen Egmont-Produktionen auffallend wenige:
- Im Inhaltsverzeichnis von Band 1 fehlt bei ‘Ein verkorkstes Picknick’ die Nummer hinter ‘Mickys Klassiker’
- S. 52: “Der gerade Weg ist kürzeste”
- S. 94: aus der US-Ausgabe übernommener Fehler. Beim unteren Strip fehlt der Textkasten am Ende. Trotz Ankündigung wurde dieser Strip auch im letzten US-Band nicht vollständig nachgedruckt. Egmont könnte zumindest das hier besser machen 😉
- Band 2: Auf S. 160 siezt Beutelschneider Micky plötzlich, nachdem er ihn vorher geduzt hat.
- S. 277: “Ich vertfolge sie bis ans Ende der Welt”
- Band 3: Auf S. 29 sagt Micky zu Minnie “Micky”
- Auf S. 42 sind im dritten Panel die Sprechblasen offenbar vertauscht
- Dasselbe auf S. 77, 1. Panel im mittleren Strip
Insgesamt ist die Floyd Gottfredson Library natürlich eine große Investition, aber für den Kauf wird man auch mit einem wertigen Produkt belohnt, das endlich die Wurzeln fast aller späteren Mausgeschichten – von Romano Scarpa über Ferioli bis zu Casty beriefen und berufen sich unzählige Künstler auf das Werk Gottfredsons – auf Deutsch offenlegt.
Schuber 1 (Band 1-3) im Egmont-Shop*
Schuber 2 (Band 4-6) im Egmont-Shop*
Schuber 3 (Band 7-9) im Egmont-Shop*
Schuber 4 (Band 10-12) im Egmont-Shop*
Schuber 5 (Sonntagsseiten 1+2) im Egmont-Shop*
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