(In dieser Rezension werde ich nur auf die Comics eingehen. Wer Genaueres über die Reihe an sich wissen will, kann hier meinen Blogeintrag lesen.)
Der große Waisenhausraub
Micky lernt einen armen Waisenjungen kennen. Das Waisenhaus hat weder Geld noch Platz, also müssen Spenden her. Ein Unfall, bei dem Micky und Minnie aus Versehen eingerußt werden, gibt die Steilvorlage: Eine Theateraufführung von “Onkel Toms Hütte” soll die benötigte Summe einspielen. (Das beinhaltet – hier macht sich die Entstehungszeit wieder bemerkbar – Blackfacing.) Die Aufführung ist trotz kleiner Schönheitsfehler ein voller Erfolg.
Dann wird es aber ernst: Rudi verschwindet mitsamt den 1500 Dollar. Er wird von einer arg blutrünstigen Justiz sofort eingelocht. Micky wiederum ist den wirklichen Schuldigen auf der Spur – Kater Karlo (noch im alten Design) und Balduin Beutelschneider, von denen man seit “Micky Maus im Tal des Todes” nicht mehr gehört hat. Durch seine Abwesenheit gilt Micky nun auch als verdächtig, was zum ersten Einsatz einer seiner später typischsten Fähigkeiten führt, nämlich der Verkleidungskunst.
Wie schon in den vorigen Geschichten muss man den Hut vor Gottfredsons Zeichenkünsten ziehen. Alleine wie Rudi auf der Anklagebank immer kleiner wird (Seite 40), ist ganz großes Kino.
Inhaltlich ist die Story geradezu archetypisch für die Spannungsbögen der Zeitungsstrips: Auf eine heitere, vor allem von Gags dominierte erste Hälfte folgt eine hochdramatische zweite, die den Leser durch ständige Schnitte hin und her zu fesseln weiß. Dass Rudi die Todesstrafe für einen Raub mit dünner Beweislage droht und Micky als Schwerverbrecher gesucht wird, finde ich dabei etwas übertrieben. Balduin Beutelschneider wiederum erweist sich mit der Todesfalle als Vorläufer des Schwarzen Phantoms.
Interessant ist, dass die Hochzeit von Rudi und Klarabella nie mehr eine Rolle spielen wird. Dasselbe gilt, soweit ich weiß, für Rudis arabische Ahnen!
Micky Maus auf der Schatzinsel
Karlo und Beutelschneider sind schon wieder auf freiem Fuß. Gleichzeitig bekommt Micky eine merkwürdige Anfrage: Die alte Frau Kirchmaus übergibt ihm einen Umschlag mit einer Schatzkarte. Ihr Mann ist auf der Suche nach dem Schatz verschollen, aber das schreckt Micky nicht.
Allerdings verspricht die Seefahrt eine Menge Ärger: Offizier und Bootsmann haben die Mannschaft schanghait (ohne dass Kapitän Micky etwas davon weiß), auf dem Schiff soll es spuken und dann hat sich auch noch Minnie an Bord geschlichen…
Der ärgerlichste Aspekt sind die Kannibalen, die leider einen beträchtlichen Teil der Handlung einnehmen. Und dass hier noch ein anderes Disney-Klischee zum ersten Mal im Comic auftaucht (der Schlag auf den Kopf mit Folgen), finde ich auch eher mäßig, vermutlich, weil es seitdem sehr inflationär genutzt wurde.
Davon abgesehen ist die Geschichte aber spannend und mitreißend und beeindruckt besonders bei den Szenen auf offener See. Wie schon in der vorigen Geschichte nutzt Gottfredson gegen Ende den Kniff, zwischen zwei Handlungen hin- und herzuwechseln, um den Leser noch stärker zu fesseln. Gekrönt wird diese wilde Geschichte von einem anrührenden Schluss, wie ich es wirklich extrem selten in einem Disney-Comic gesehen habe.
Burg Unfried
Auf das Piratenschatz-Epos mit Gorilla (der übrigens am Ende etwas untergegangen ist, also im übertragenen Sinne) folgt eine waschechte Horror-Story. Visionär ist sie dabei auch gleich, war doch das Fernsehen noch lange nicht marktreif, während die Professoren Ecks, Duplex und Triplex Micky auf einem Monitor beobachten.
Die drei laden Micky zunächst auf die Villa Unfried ein. Rudi ist das Ganze nicht geheuer, laut ihm steht die Burg seit Langem leer. Und seine Befürchtungen sollen sich bewahrheiten: Die Wissenschaftler haben einen Hypnosestrahl entwickelt, mit dem sie die Welt in Angst und Schrecken versetzen wollen. Zudem ist die Burg mit Fallen gespickt. Also eine lebensbedrohliche Situation…
Zeichnerisch ist “Burg Unfried” der bisherige Höhepunkt in Gottfredsons Schaffen. Die düstere Burg und der ständige Regen schaffen eine dichte Gruselatmosphäre.
Inhaltlich geht es ebenfalls drastisch zur Sache. Verrückte, mordlustige Erfinder; Micky konfrontiert mit der Hypnose seines besten Freundes, der nun Sätze von sich gibt wie “Ein Wort zur rechten Zeit ist besser als die Taube auf dem Dach”. Alles Stilmittel, die auch in Zukunft eine Rolle spielen sollen, aber selten so gelungen eingesetzt wurden wie hier.
Pluto und der Hundefänger
Pluto wird von einem Hundefänger verfolgt, weil er keine Marke hat.
Im Netz der Luftpiraten
Micky will Pilot werden! Als Luftpostpilot will er ganz groß durchstarten. Einweisen soll ihn der eigenwillige Mechaniker Griesgram. Allerdings gibt es Aufruhr bei der Post. Immer mehr Flugzeuge verschwinden spurlos. Deswegen muss Micky auch noch den Umgang mit einem Maschinengewehr lernen!
Was er dann erlebt, ist der Stoff von Albträumen: Ich sag nur Riesenspinne und Netz in den Wolken! Allerdings gibt es eine “normale” Erklärung.
Vielleicht die beeindruckendste Geschichte bis hierhin. Die visuellen Eindrücke, die Gottfredson hier abliefert, sind enorm. Aber auch das dahinterliegende Konzept ist erstaunlich. Ein spektakuläres Finale setzt der Geschichte die Krone auf.
Angesichts dessen, wie sehr Kater Karlo später abgemildert wurde, ist es recht schockierend zu erfahren, dass er ein leibhaftiger Mörder ist.
Micky Maus und sein Pferd Schlenkerbein
Deutlich geerdeter geht es hier zu: Micky lässt sich übers Ohr hauen. Zwei zwielichtige Typen drehen ihm ein “Rennpferd” an, das nicht mal ansatzweise den Preis wert wäre. Das Pferd heißt Schlenkerbein und hat einen Narren an Pluto gefressen. Leider gerät Micky darüber schnell in Geldnot. Wieso will er dann trotzdem mit Schlenkerbein beim Pferderennen antreten?
Auch wenn in der zweiten Hälfte kriminelle Aktivitäten eine Rolle spielen: Die Geschichte ist in erster Linie eine Charakterstudie. Micky dabei zu beobachten, wie er mit der Situation und dem ulkigen Pferd umgeht, ist sehr interessant. Bei allem Lob für Gottfredsons Zeichenkünste (und Pluto’s Posen sind göttlich!) muss ich allerdings anmerken, dass seine Pferde (genau wie seine Kühe) etwas arg überzeichnet sind.
Eine verrückte Verbrechenswelle
Micky versucht sich zum ersten Mal als Detektiv, wenn auch noch als Partner in der Agentur von Dippy Dawg (später Goofy). Leider verscherzen es sich die beiden mit Bürgermeister Puck, sodass ein anderes Team die merkwürdigen Übergriffe untersuchen soll, bei denen Leute kahlgeschoren werden und ihnen die Unterwäsche geklaut wird. Richtig ernst nehmen die das allerdings nicht. Micky und Dippy/Goofy ermitteln auf eigene Faust; das läuft nicht ohne Probleme ab…
Micky erweist sich hier als noch unsicherer, aber bereits talentierter Detektiv. Sein Sidekick ist dabei nur bedingt nützlich und sorgt in erster Linie für lustige Momente. Insofern wird hier eine Tradition begründet.
Rückkehr zu Burg Unfried (Bonus)
Einige der Library-Bände enthalten Fortsetzungsgeschichten zu den Gottfredson-Klassikern. Diese hier stammt aus dem Jahr 1993 und damit aus der kurzen Zeit, als Disney selbst die amerikanischen Comics verantwortet hat. Die Story ist von David Cody Weiss, die sehr an Gottfredson angelehnten Zeichnungen (Micky mit Knopfaugen und kurzer Hose) wurden von Stephen DeStefano angefertigt.
Micky, Minnie und Rudi werden auf die Burg Unfried eingeladen, die mittlerweile in eine Museum umgebaut worden ist. Zumindest hat es den Anschein…
Für meinen Geschmack ist diese Story zu bemüht. Das Prinzip, dass Micky in eine Falle gelockt werden soll, hat sich seit den Gottfredson-Tagen so abgenutzt, dass es hierfür schon eine überzeugendere Begründung bräuchte. Auch die Auflösung des ganzen Zaubers ist eher antiklimaktisch.
Der Anhang wartet u.a. mit einem Artikel über Floyd Gottfredsons Gemälde auf, und neben ein paar Fotos des Meisters bei der Arbeit werden auch die sieben Gemälde abgedruckt, die sich auf die im Band erschienenen Geschichten beziehen. Auch wenn sie stilistisch weit weg von Carl Barks’ Ölgemälden sind, finde ich sie wunderschön.