The Alan Parsons Project
Alan Parsons gehört zu den ungewöhnlichsten Erfolgsgeschichten. Zwar spielte er als Jugendlicher Flöte und Gitarre, aber seine Karriere begann er als Tontechniker bei EMI. Noch sehr grün hinter den Ohren, hatte er das Glück, dass er den Beatles bei den Aufnahmen ihrer letzten beiden Alben assistieren konnte (auch beim legendären “Rooftop concert”), und bald wurde er zu einem der besten Toningenieure von Abbey Road. Auf The Dark Side of the Moon von Pink Floyd war er offiziell nur Toningenieur, aber übernahm schon viele Aufgaben eines Koproduzenten. Danach verdingte er sich als Produzent und schuf Meilensteine wie “Music” von John Miles, “Magic” und “January” von Pilot oder “Year of the Cat” von Al Stewart.
1974 traf Parsons auf den Songwriter und Keyboarder Eric Woolfson. Die beiden formten ein kreatives Duo, das ein Album rund um die Schauergeschichten von Edgar Allan Poe aufnehmen wollte. Nach dem Vorbild des Kinos, wo Regisseure zu Stars wurden, sollte hier der Produzent die Leitfigur sein, weshalb das Album Tales of Mystery and Imagination (mit Musikern von Pilot und Ambrosia und vielen prominenten Sängern) dann auch 1976 unter dem Namen “The Alan Parsons Project” erschien. Damit war Parsons einer der ersten Starproduzenten im Musikbusiness und seiner Zeit weit voraus – heutzutage ist es ja gang und gäbe, dass Produzenten große Namen sind, siehe David Guetta, Timbaland, Felix Jaehn oder Calvin Harris.
Auch musikalisch war Parsons ein Pionier, entwickelte er doch die von Pink Floyd auf “On the Run” eingesetzte Sequencertechnik konsequent weiter und schuf mit “I Robot”, “Lucifer” (bis heute Titelmelodie der ARD-Sendung “Monitor”), “Mammagamma”, “Where’s the Walrus” und der extrem bekannten, gerne bei Sportveranstaltungen eingesetzten Hymne “Sirius” Instrumentals, deren Einsatz von Elektronik und hypnotischen Delays vieles vorwegnahmen, was man später als Techno bezeichnen sollte.
Für die oft sanfteren Stücke mit Gesang war dagegen hauptsächlich Eric Woolfson verantwortlich, der seine Songs auch immer öfter selbst sang. “Eye in the Sky”, “Time”, “Don’t Answer Me” und “Prime Time” wurden von seiner warmen Stimme geprägt. Weitere wichtige Elemente des Project-Sounds waren die teilweise monumentalen Orchesterpassagen, arrangiert von Andrew Powell, und die lyrischen Gitarrensoli von Ian Bairnson.
The Alan Parsons Project war ein reines Studioprojekt. Aufgrund der ausgefeilten Arrangements und der vielen prominenten Gastsänger kam es erst 1990 zu einer Handvoll Auftritte im Rahmen der “Night of the Proms”. Eric Woolfson nahm an diesen nicht teil, und bald schon gingen Parsons und Woolfson getrennte Wege – der Rechtsstreit rund um das Musical Freudiana hatte einen Keil zwischen die beiden getrieben.
Parsons fand zudem Gefallen am Live-Spiel (auch wenn er nur wenig zur Musik beitrug!), während Woolfson lieber weiter Musicals schrieb. Nach drei einigermaßen erfolgreichen “Solo”-Alben mit vielen Musikern des Projects zog Parsons nach Amerika und produzierte ein modernes elektronisches Album namens A Valid Path. Das traf bei vielen Fans nicht auf Zustimmung, die neue amerikanische Liveband mit Frontmann PJ Olsson allerdings schon (ich hab sie 2017 gesehen). Daher gibt es auch nicht weniger als fünf Livealben aus dem neuen Jahrtausend: Eye 2 Eye – Live in Madrid, LiveSpan (in Stuttgart aufgenommen), Live in Colombia (mit Orchester), The NeverEnding Show – Live in the Netherlands und One Note Symphony – Live in Tel Aviv (wieder mit Orchester).
4. Alan Parsons – From the New World
“The Alan Parsons Anomaly”
Ein solches Kuddelmuddel war vom Meister der Konzeptalben eigentlich nicht zu erwarten. From the New World hat keinen richtigen roten Faden, kein Instrumental, und die Reihenfolge der Songs ist suboptimal. Warum schafft es die CD dennoch in meine Top 5 des Jahres? Weil jeder Song für sich gesehen toll ist (vielleicht mit einer Ausnahme, aber dazu später mehr).
2019, nach fünfzehn Jahren, in denen Alan Parsons nur noch die alten Songs live dargeboten hatte (und gelegentlich als Toningenieur reüssierte, wie 2013 für Steven Wilson!), gab es endlich ein Werk mit neuen Parsons-Songs, geschrieben hauptsächlich von den Mitgliedern seiner heutigen Liveband. Es hieß The Secret, klang verglichen mit dem elektronischen A Valid Path deutlich vertrauter und befasste sich mit Zauberei (der gerne als “Klangzauberer” bezeichnete Parsons ist selbst Mitglied der Magiergilde). Bereits damals kündigte er an, dass ein Nachfolger nicht lange auf sich warten lassen würde. Und hier ist er nun.
Konzeptioneller Aufhänger für From the New World ist Antonín Dvořáks Neunte Sinfonie von 1893, die den Untertitel Aus der neuen Welt trägt. Es war eines der ersten Male, dass ein europäischer Klassik-Komponist Einflüsse der Musik der Afroamerikaner verarbeitete – daher auch der Titel. Dvoraks Schüler William Arms Fisher nahm ein Motiv aus dem zweiten Satz der Sinfonie und machte aus der ohnehin schon gospelartigen Musik 1922 ein echtes Spiritual namens “Goin’ Home”. Genau dieses Stück nahm sich nun Parsons vor und nahm es mit einer neuen Orchestrierung auf. Erstaunlich dabei: Der Musiker, der seit dem ersten Album des Alan Parsons Project fast dreißig Jahre vergehen ließ, bis er sich mal selbst als Leadsänger versuchte (auf “We Play The Game” von 2004), liefert eine tolle Leistung ab. Aber das hat wohl auch etwas mit Erfahrung zu tun, übernimmt er doch live mittlerweile die meisten ursprünglich von Woolfson gesungenen Parts.
Was das Album zusammenhält, ist der Titel: Bis auf den geborenen Briten Parsons, der aber nun schon seit langer Zeit in Kalifornien wohnt, sind alle am Album beteiligten Musiker Amerikaner. Das erklärt dann auch den etwas unpassenden Schlusssong “Be My Baby” – das Stück der Ronettes gilt als eine der ersten Meisterleistungen eines Produzenten, namentlich der als Person leider gar nicht lobenswerte, aber für die amerikanische Popmusik sehr prägende Phil Spector. Parsons meinte, er wollte einfach mal eine Version des Songs in Stereo produzieren. Aber passen tut es auf das Album nicht wirklich.
Los geht es aber mit typischerer Musik. Das Intro orientiert sich sehr am Klassiker “Sirius”, ohne die ikonische Vorlage allerdings so stumpf zu kopieren wie der Track “Alpha Centauri” von 2010. Aus dem Intro schält sich bald der eigentliche Song heraus, der eine Pink-Floyd-artige Ballade ist und sehr in Parsons’ Klangkosmos passt, aber auch bereits andeutet, dass es auf From the New World sehr ruhig zugehen wird. Schön der Einsatz des Vocoders (Parsons war 1976 einer der ersten, die ihn für Musik einsetzten), die schwelgerischen Streicher und das wehmütige Saxofonsolo.
Sehr interessant ist der Text, der hauptsächlich aus Songtiteln von Project-Tracks besteht. Da kann man als Fan viel entdecken (wie auch auf dem Albumcover!). Der Wechsel zu einer schnelleren Gangart (mit Ähnlichkeiten zu “Eye in the Sky”) ist sehr willkommen und bringt Abwechslung in den Song. Spätestens bei der Zeile “Son of wolf and father of words” ist dann klar, dass sich Parsons (bzw. Sänger/Saxofonist Todd Cooper) mit dem Song vor dem 2009 allzu früh verstorbenen Eric Woolfson verneigt. Eine charmante, wenn auch etwas späte Hommage.
Mit dem locker-flockigen “The Secret” wird dann der Titelsong des Vorgängeralbums nachgereicht (ähnliche Sperenzchen kennt man auch von Queen oder Led Zeppelin), was schon konzeptionelle Schwierigkeiten bringt, denn das Stück befasst sich wie alles von The Secret mit Zauberei. Musikalisch ist das Stück allerdings kein Fremdkörper, sind sich beide Alben doch recht nah. Mark Mikel bringt mit seiner Stimme ein gewisses Beatles-Flair. Er spielt übrigens auch eine Swarmandal (eine gezupfte Zither aus Nordindien und Pakistan), was schöne Akzente liefert. Hauptattraktion ist aber der Refrain mit einer sehr ohrwurmverdächtigen Kombination aus Gesang und Gitarre!
“Uroboros” war die erste Single und steht in derselben Tonart wie “The Secret”. Das Stück bedient sich der v.a. durch Pink Floyd berühmt gemachten Akkordfolge i-IV (Moll-Tonika, Dur-Subdominante), textlich geht es darum, dass sich alles und nichts ändert – symbolisiert durch das Bild der Schlange, die sich in den Schwanz beißt (das Bild kennt man auch schon von dem Cover des Project-Albums Vulture Culture). Als Sänger für den rockigsten Song bisher hat Parsons Tommy Shaw von Styx verpflichten können, der sich ziemlich verausgabt. Und genau wie einst John Miles bei “Stereotomy” muss auch Tommy Shaw ein ziemlich ungewöhnliches Wort überzeugend rüberbringen.
“Don’t Fade Now” ist dann die erste Softballade und zugleich der erste Gesangsauftritt von Parsons himself, der sich den Song allerdings mit PJ Olsson teilt. Ein nettes, aber nicht sonderlich auffälliges Stück. Es hätte allerdings auch gut auf viele Project-Alben rund um 1980 gepasst. Und Jeff Kollman liefert an der Leadgitarre, wie schon auf allen Songs bisher, ordentliche Arbeit ab.
“Give ’em My Love” ist die nächste Ballade und verursacht etwas gemischtere Gefühle bei mir. Am Mikro steht mit James Durbin jemand, dessen Stimme für meinen Geschmack nicht so gut zu Parsons passt – er klingt irgendwie wie Jon Bon Jovi. Ein weiterer Gast spielt mit, nämlich Supergitarrist Joe Bonamassa – er fügt sich besser ein; allerdings so gut, dass der Mehrwert etwas im Dunkeln bleibt. Am Ende nimmt das Stück auf einmal Fahrt auf. Das gab es schon mal (“Don’t Let It Show”) und damals fand ich es schon genauso verwirrend.
“Obstacles” ist die nächste Ballade. Wieder singt Mark Mikel und wieder gibt es schöne, unvorhersehbare Akkordwechsel, die an The Beatles erinnern. Aber auch wenn das Stück für sich gesehen gelungen ist – die Reihenfolge ist es nicht. Das extrem ruhige, klaviergetragene Stück lädt nach zwei Balladen zum Schnarchen ein, was schade ist.
“I Won’t Be Led Astray” ist die nächste Ballade und langsam wird es etwas eintönig. Der Song hätte eine bessere Platzierung noch mehr verdient: Immerhin ist hier nicht nur Joe Bonamassa wieder an Bord und kann mit einem Solo irgendwo zwischen David Gilmour und Gary Moore mehr glänzen als bei seinem ersten Gastauftritt hier. Nein, auch am Gesangsmikro gibt es einen ganz tollen Gast, nämlich David Pack von Ambrosia, der bereits drei Songs von Try Anything Once und einen von A Valid Path veredelt hat (und im Lockdown drei tolle Beatles-Covers mit Parsons aufgenommen hat). Für meinen Geschmack die beste der vier Balladen, die sich hier im Mittelteil drängeln.
“You Are The Light” bringt dann endlich wieder etwas Schwung in die Bude. Der Song könnte auch aus den späten 70ern stammen. Parsons’ freundliche, aber etwas eindimensionale Stimme duettiert hier mit der hohen von Rhythmusgitarrist Dan Tracey. Die Melodie ist extrem eingängig, nach ein paar Mal Hören kaum noch aus dem Kopf zu bekommen. Und wieder trumpft Parsons mit einer schönen Bridge auf, ein heutzutage in Popsongs nicht mehr allzu oft anzutreffendes Stilelement.
“Halos” ist der modernste Song des Albums, wobei er auch Erinnerungen an die Instrumentals von Eye in the Sky weckt. Hauptverantwortlicher ist diesmal PJ Olsson, dessen nasale Stimme hier recht entspannt klingt, obwohl der Song durch das treibende Programming teilweise richtig Zug hat. Der düstere Mittelteil ist sehr spannend. Textlich wagt man sich etwas aus dem Vagen und wird stattdessen zeitkritisch (sehr ungewöhnlich im Parsons-Œuvre): “Posturing politics, lies are now the new norm.” Die Botschaft ist allerdings eine versöhnliche. Für mich wahrscheinlich der beste Song des Albums.
Darauf folgen dann die bereits oben angesprochenen beiden Covers. “Goin’ Home” ist mit dem subtilen Orchesterarrangement sehr bewegend geraten und könnte auch so etwas wie ein Abschied sein (der Meister will aber, zumindest seinen Aussagen in Interviews nach, noch nicht aufhören). “Be My Baby” passt für mein Gefühl weiterhin nicht dahinter, ist aber auch durch eine längere Pause vom Rest des Albums getrennt, also quasi wie ein Bonustrack. Meiner Meinung nach hätte das exklusiv auf dem Live-Album The NeverEnding Show von 2021 enthaltene Titelstück “The Neverending Show” besser hier hingepasst.
Man kann das Album natürlich schon so hören, wie es ist. Aber wem die Balladen zu konzentriert sind, dem empfehle ich eine alternative Reihenfolge:
Als Ganzes gefällt mir The Secret zwar insgesamt etwas besser – an “One Note Symphony”, “Requiem” und “I Can’t Get There From Here” reicht für meinen Geschmack keiner der Songs auf From the New World heran – aber auch das neue Album hat viel zu bieten und wächst beim Hören beständig. Parsons backt heute kleinere Brötchen als früher, aber ich bin froh, dass er wieder im Geschäft ist und hervorragende Popsongs produziert. Lieder, die zugänglich sind, aber auch handwerklich gut und mit emotionalem Gehalt.
Klanglich ist das Album angenehm natürlich geraten und klingt zeitloser als vieles aus den 80ern und 90ern. Den Surroundmix gibt es für wenig Geld im Digipack zusammen mit der regulären CD, allerdings leider nur im mittlerweile ziemlich veralteten Dolby-Digital-Format.
Einen textlichen roten Faden habe ich mittlerweile auch entdeckt: In vielen Songs geht es darum, nach Rückschlägen den Optimismus nicht zu verlieren und neuen Mut zu fassen – was ja auch gut zur Ära der Pandemie passt, die so vieles auf den Kopf gestellt hat.
Leider war 2022 gesundheitlich kein gutes Jahr für Parsons: Die zum Album geplante Tour musste abgesagt werden, nachdem der Hüne sich einer Rückenoperation unterziehen musste. Als er dann im Herbst auf die Bühnen zurückkehrte, hatte Keyboarder Tom Brooks mitten im Konzert einen medizinischen Notfall und musste ins Krankenhaus, während die Band den Auftritt tapfer ohne Keyboarder zuende spielte. Autsch!
Die nächste Veröffentlichung aus dem Hause Parsons wird übrigens eine Box bzw. Surround-Blu-Ray-Disc rund um The Turn of a Friendly Card sein – passenderweise mein Lieblingsalbum vom Project.