Mit einer Spiellänge von zwei Stunden und vierzig Minuten ist “Wicked” einer der wenigen, langen Filme des Jahres geworden – und dabei ist es gerade einmal der erste Teil von insgesamt zwei, die es geben soll. Der nächste kommt aber erst in einem Jahr. Aber es gibt schon jetzt viel zu erzählen und vor allem zu singen, denn es handelt sich um ein Musical und basiert auf der bekannten Geschichte “Der Zauberer von Oz”.
Ganz grob gesagt geht es in “Wicked” um die Vorgeschichte, die im Musical “Wicked – Die Hexen von Oz” erstmals 2003 aufgeführt wurde (wiederum basierend auf einem Buch vom Autor Gregory Maguire von 1995*) und die Geschichte der Guten Hexe des Nordens, Glinda (hier Ariana Grande) und der Hexe des Westens erzählt. Auch der Zauberer von Oz (Jeff Goldblum) tritt dort auf.
Mobbing und Ausgrenzung sind große Themen von “Wicked”
Nachdem die Gute Hexe des Nordens verkündet, dass die Hexe des Westens tot ist, wird sie am Anfang des Films gefragt, ob sie wirklich mit ihr befreundet gewesen sei. Danach startet der Film, der die Geschichte von Elphaba (später Elfie, gespielt von Cynthia Erivo) erzählt. Aus einer Affäre unehelich gezeugt, grün geboren und vom Vater Governor Thropp (Andy Nyman) abgelehnt wächst sie auf, während sie bereits in jungen Jahren Mobbing erfährt. Zudem gibt sie sich die Schuld dafür, dass ihre jüngere, vom Vater geliebte Schwester Nessarose (Marissa Bode) im Rollstuhl sitzt und ihre Mutter nach der Geburt der zweiten Tochter verstarb.
Das ist natürlich erst einmal harter Tobak. Trotzdem ist Elfie relativ selbstbewusst, ihr Sinn für Gerechtigkeit ist stark ausgeprägt. Durch ein Glück – und aufgrund ihrer vorhandenen, magischen Kräfte – kommt sie an die Universität in Glizz. Dort trifft sie auch auf Glinda (erst noch Galinda), die durch ihre Eitelkeit und eine gewisse Dummheit auffällt, aber sehr beliebt und populär ist.
Anfangs verarscht sie Elfie eher, beispielweise als sie ihr einen ranzigen Hut schenkt und ihr einredet, dieser würde ihr total stehen, bevor sie sich aufgrund von Elfies Gutmütigkeit dann doch anfreunden können. Elfie ermöglicht Glinda nämlich erst ihre eigene Karriere als Magierin.
Ausgrenzung, vielleicht sogar Antisemitismus ist ebenfalls unterschwellig Thema des Films
In den Trailern wurde bereits angekündigt, dass die Tiere aus Oz immer mehr verschwinden. Ein Professor namens Dr. Dillamond, der eine Ziege und das letzte lehrende Tier ist, wird im Film später von einigen Wachleuten abgeholt. Elfie ist die einzige, zusammen mit dem Prinz Fiyero Tigelaar, der die Sache offenbar auch nicht ganz unkritisch sieht, die sich für den Professor erhebt, sich für ihn schon zuvor einsetzte und auch die Stimme erhob, als jemand eine Botschaft gegen den Lehrer auf ein Plakat kritzelte.
Die Deutung, dass man sich hier auf den Antisemitismus in der Gesellschaft beziehen könnte – den die meisten Schüler einfach stillschweigend hinnehmen, auch Glinda, ist naheliegend. Und über den Film stellt sich noch etwas anderes heraus, was in die aktuelle Zeit passt.
Böse Überraschungen: Wird Oz in “Wicked” zum totalen Überwachungsstaat?
Jetzt greife ich allerdings ein wenig vor – wer den Film also noch nicht geschaut hat, sollte das bitte tun oder bis zur nächsten Überschrift überspringen. Die Tiere verschwinden nämlich nicht aus irgendeinem Grund, sondern weil der Zauberer von Oz das so will. Elfie will er ausnutzen, um das uralte Zauberbuch lesen zu können. Denn wie bereits bekannt, zumindest für den Zuschauer, der das Original kennt, kann der Zauberer von Oz gar nicht zaubern. Elfie aber kann es.
Doch die “Böse Hexe des Westens” lässt sich auf dieses Spiel nicht ein, als er sie erst seine Affenwächter mit Flügeln ausstatten lässt und dann eingesteht, damit Oz überwachen zu wollen. Seine “Spitzel” konnte er ja selbst nicht verzaubern. Die böse Hexe ist also nicht unbedingt böse, oder war es zumindest nicht, sondern wird zur Flucht gezwungen und wollte die Tiere eigentlich nur beschützen.
Weniger Einblick in die magischen Länder von Oz, als erwartet
Schade ist durchaus, dass nicht noch mehr von den Ländern von Oz gezeigt wird, obwohl man sieht, dass hier durchaus viel Geld in eine gute Kulisse gesteckt wurde. Dafür sehen wir allerdings recht wenig davon, die meisten Szenen in der Universität machen im Vergleich einfach weniger her. Was man allerdings sieht, macht dafür einen umso besseren Eindruck. Manche Sets sehen ein bisschen unecht aus, aber die Welt von Oz ist ja auch nicht dafür bekannt, nicht in gewisser Weise magisch zu sein.
Ebenfalls ärgerlich ist teilweise sie Synchronisation auf Deutsch gewesen. Ich habe den Film komplett im Deutschen gesehen, obwohl manche Kinos wohl auch englische Songs mit deutschen Gesprächen anbieten. Wer Ariana Grande singen hören will, sollte dann also eher zweitere Möglichkeit wählen.
Und wer will, dass der Gesang auch auf die Mundwinkel passt, genauso. Das mag sicherlich ein schweres Unterfangen sein, Musicals zu vertonen, gerade in Szenen, wo die Schauspieler den Mund nicht richtig öffnen, aber hier hätte es sich auch noch andere Optionen gegeben. Wenn es an mehreren Stellen krass auffällt, spricht das nicht für die Fassung mit deutschen Songs.
Wie sind die Songs? Wicked als Musical verstanden
Dass die Dichte an Gesang bei Musicals hoch ist, ist ja nichts Neues – zuletzt der sehr erfolgreiche Animationsfilm “Vaiana 2”. Hier sind einige der Songs gelungen, allerdings eher weniger die am Anfang. Doch – da muss man durch. Denn mit der Zeit fühlen sich die Lieder persönlicher und auch tiefgehender an, als es noch zu Anfang der Fall ist.
Da ich das Original-Musical nicht gesehen habe – ist ja immer noch eine Filmkritik hier und wir kein Theater-Kritik-Magazin – kann ich keinen Vergleich zu dem Wicked-Musical selbst ziehen. Anhand der bisherigen Vergleiche scheint der Film aber sehr gut mithalten zu können.
Fazit zu “Wicked – Teil 1” (2024): Sollte man den Film anschauen?
Zum Schluss würde ich gerne den Vergleich zum Film “Wonka” aus dem vergangenen Winter ziehen, den ich bereits empfohlen hatte. Wer einen guten Film zu Weihnachten sucht, dürfte mit Wicked durchaus froh werden, auch wenn es eben nur der erste Teil ist und es im nächsten Jahr dann noch weitergeht. Wicked spricht viele unterschiedliche Themen an, und lässt sich dabei auch die nötige Zeit (bei zwei Stunden und vierzig Minuten hat er diese aber auch). Langenweilen muss man sich dabei sicherlich nicht.
Sicher ist wohl auch, dass der Film im Oz-Kosmos nicht vergessen werden wird. Es dürfte im Gegenteil gerne mehr Filme wie diesen geben, die sich die Zeit lassen, auch in zwei längeren Teilen, die Vorgeschichte auszurollen. Natürlich ist Wicked nur eine Adaption und nicht Kanon, aber genau das macht es ja manchmal aus.