Der Trend in den vergangenen Jahren ist es, dass immer weniger Menschen Bücher lesen – aber die, die es tun, dafür umso mehr. Der dazu passende Film dürfte wohl “Der Buchspazierer” sein, der den Buchverkäufer Carl Kollhof (Christoph Maria Herbst) und das 9-jährige Mädchen Schascha (Yuna Bennett) zeigt, die beide die Liebe zu den Büchern verbindet.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Carsten Sebastian Henn, das 2020 erschien und mittlerweile ein Bestseller* ist. Regie und Kamera führte Ngo The Chau. Seit dem 10. Oktober 2024 läuft der Film in den deutschen Kinos.
Darum geht es in “Der Buchspazierer” – die Handlung kurz zusammengefasst
In seiner eigenen Welt versunken erhält der Buchspazierer auf einmal Unterstützung von der 9-jährigen Schascha, die er zunächst ablehnt. Auf seinen Touren bringt er in einer Kleidung, die wohl heute als altmodisch bezeichnet werden könnte, Bücher durch seine Kleinstadt an seine Kunden, denen er literarische Namen wie Frau Langstrumpf, Effi Briest und Mister Darcy gegeben hat. Schascha ist neu in der Stadt, vernarrt in Bücher und will bald mitmachen. Die Begeisterung für Bücher hat sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt.
Im Hintergrund kann der Zuschauer im Laufe des Films verfolgen, wie das kleine Idyll vom Anfang langsam in sich zusammenfällt. Denn die Buchhandlung, bei der Kollhof arbeitet, wurde von einer großen Kette gekauft, die erst seine Touren verkürzt und dann sukzessive von einer Buchhandlung in einen, man könnte meinen, 1-Euro-Shop verwandelt wird.
Die Liebe zu den Büchern verbindet auch die Kunden mit den dann zwei Buchspazierern, die jeweils aus ganz eigenen Motiven Bücher lesen. Frau Langstrumpf zum Beispiel sucht Fehler in den Büchern, traut sich aber nicht aus dem Haus, weil ein Eisblock eines Tages vor ihrer Tür landete, als sie das Haus verlassen wollte – offenbar abgeworfen von einem Flugzeug. Auch andere kämpfen mit Problemen. Ganz eigene Charaktere sind sie alle. Deshalb wohl auch die Spitznamen.
Der Buchspazierer scheitert an der Realität
Ein wenig stößt sich der verträumte Film aber auch an der Realität. Zwar schwimmt ein wenig Gesellschaftskritik mit, an einigen Stellen tun sich jedoch auch Logiklücken auf. Dass es am Ende auch die Schuld der neuen Leitung der Buchhandlung ist, dass immer weniger Menschen mit Büchern beliefert werden – dürfte wohl mehr als offensichtlich sein.
Die Kunden sollen ja selbst in die Buchhandlung kommen, um Bücher zu kaufen. Kollhoff, der alle anderen eingearbeitet hat und seit Jahrzehnten dort tätig ist, wird schlussendlich – Achtung, Spoiler, bitte restlichen Absatz überspringen – entlassen. Gemäß Arbeitnehmerschutz ist das allerdings in dieser Form quasi unmöglich. Er gibt auch an, nie Urlaub genommen zu haben, kann aber nur kaum zwei Wochen davon am Ende bekommen. Und ein freier Mitarbeiter ist er mit Sicherheit nicht gewesen. Klagen könnte aber auch dann, und wohl auch erfolgreich.
Aber lässt man diese Dinge aus, gibt es trotzdem noch Szenen, die ein bisschen zu sehr wie aus dem Märchenbuch klingen und in der Realität wohl so, oder zumindest so schnell nicht passiert wären. Dabei wäre es auch anders gegangen, immerhin ist der Film im Hintergrund todernst.
Die Alternativwelt der Bücherwürmer
Grundsätzlich zeigt der Film eben eine Alternativwelt. Dass zwischendrin Heidi als Vergleich dient, dürfte wohl insofern nicht verwundern, dass Kollhoff selbst der Alm-Öhi sein könnte und Schascha Heidi. Bei seinem Plädoyer für das Buch hört man das auch ein wenig heraus.
In einem Interview mit dem Magazin Cinema sagte Christoph Maria Herbst, sich mit Kollhoff im Grunde genommen keine Charaktereigenschaften zu teilen. Seine schauspielerische Leistung im Film hat das aber nicht negativ beeinflusst. Auch Yuna Bennett spielt ihre Rolle überzeugend. Doch eine Sache sollte sich zumindest Herbst in Zukunft sparen: Die trockene Stimme. Nicht zum ersten Mal redet er auch in diesem Film teilweise so, als hätte er zwei Tage kein Wasser getrunken. Wirklich authentisch klang das noch nie.
Wer gerne Bücher liest oder an ruhigeren, deutschen Filmen mit schönen Bildern (in der Städteregion Aachen/Stolberg, in der der Film gedreht wurde, gab es davon reichlich – auch wenn der Eifelort Monschau trotz ähnlich eindrucksvoller Baulandschaft wohl nicht vorkam, was durchaus schade ist) interessiert ist, dürfte mit dem Film gewiss auf seine Kosten kommen. Die erste Hälfte des Films macht sogar so viel Spaß zu schauen, dass man die Zeit einen Moment vergisst.